Trinkwasser für Ahrbrück
Zerstörte Wasserleitungen, verschmutzte Gewässer, Seuchengefahr mitten in Deutschland: Die von Sturmtief „Bernd“ verursachte Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat im Juli 2021 in vielen betroffenen Ortschaften die Entsorgung von Abwasser und die Versorgung mit sauberem Trinkwasser unterbrochen oder gar zerstört.
Zu den Ersthelfern in dieser Notsituation gehörten neben den großen bekannten Akteuren des Zivil- und Katastrophenschutzes auch zahlreiche kleinere Hilfsorganisationen. Eine davon ist NAVIS e.V., ein auf Trinkwasseraufbereitung in Katastrophengebieten spezialisierter Verein aus Moosburg in Bayern. Die ehrenamtlich arbeitenden Expertenteams von NAVIS e.V. sind seit 2004 in vielen Krisengebieten der Welt vor Ort, um nach Überschwemmungen erste Nothilfe in der Trinkwasserversorgung zu leisten.
Die Hilfsanfrage aus dem innerdeutschen Krisengebiet in Rheinland-Pfalz erreicht NAVIS e.V. im Juli 2021 unmittelbar nachdem das Ausmaß der Schäden am öffentlichen Trinkwasserversorgungsnetz deutlich geworden war. Schon kurz danach reist ein erstes Team zur Unterstützung des Zweckverbandes Wasserversorgung Eifel-Ahr in den Landkreis Ahrweiler.
Die vier Trinkwasseraufbereitungsanlagen (TWA) im Gepäck von NAVIS e.V. stammen von der Firma Kärcher Futuretech. Der Schwaikheimer Spezialist für mobile Versorgungs- und Schutzsysteme gehört seit mehr als drei Jahrzehnten zu den wichtigen Ausrüstern im Zivil- und Katastrophenschutz. Die ins Ahrtal mitgebrachten Anlagen haben jeweils eine Leistungskapazität von bis zu 5.000 Litern frischem Trinkwasser pro Stunde und arbeiten nach dem Prinzip der Ultrafiltration.
Auch wenn die Moosburger Einsatzkräfte Bilder großer Zerstörung aus Asien und Afrika kennen - was sie im Schadengebiet vor Ort vorfinden, lässt keinen von ihnen kalt. „Wer vorher dachte, dass bei der hierzulande üblichen Bauweise die Schäden einer solchen Flut geringer ausfallen würden als in anderen Ländern, wurde eines Besseren belehrt. Selbst große Gebäude wurden hier mit solch einer Kraft unterspült, dass sie zusammenbrachen,“ fasst der NAVIS e.V.-Vorsitzende Wolfgang Wagner die ersten Eindrücke der Helfer zusammen.
Nachdem mithilfe des örtlichen Krisenstabs oberhalb Ahrbrücks ein geeigneter Platz als Basiscamp gefunden wurde, beginnen Helfer mit der Inbetriebnahme der Aufbereitungsanlagen. Zusätzlich zu den vier TWA aus dem Besitz von NAVIS e.V. stellt Kärcher Futuretech zur Unterstützung des Vorhabens spontan eine fünfte Anlage zur Verfügung. Die tägliche Produktionskapazität erreicht damit im Laufe des Einsatzes eine Menge von 200.000 Litern Trinkwasser pro Tag.
Das Rohwasser zur Produktion wird zunächst aus dem Flusswasser entnommen, später kann NAVIS e.V. den Anschluss an eine nahegelegene Quelle verlegen. Für die Verteilung etablieren sich schnell mehrere Kanäle: Aus einem Tank auf dem Gelände können sich die Bewohner direkt frisches Trinkwasser in 10 Liter Tanks abzapfen. Auch eine Duschstraße wird eingerichtet, auf der die vielen, zu Aufräumarbeiten angereisten, privaten und professionellen Helfer eine warme Dusche nehmen können. Mit voranschreitender Prüfung der örtlichen Wasserleitungen kann das produzierte Trinkwasser jedoch schon nach kurzer Zeit auch in die noch intakten Abschnitte des Trinkwassernetzes des Landkreises Ahrweiler eingespeist werden. „Wenn das Wasser plötzlich wieder aus dem Wasserhahn kommt anstatt aus dem Kanister – in einer von Zusammenbruch geprägten Situation kann das für Betroffene schon einen psychologischen Unterschied machen. Es kann Zuversicht geben, dass die Dinge nach und nach wieder in Ordnung kommen,“ sagt Wolfgang Wagner. Ortschaften, die noch abgeschnitten sind, können mit Tankwagen und Feuerwehrfahrzeugen versorgt werden.
Und während inzwischen im Basiscamp von NAVIS e.V. trotz Ausnahmezustand mit den täglichen Aufgaben aus Wartung und Reinigung der Anlagen und dem Lösen von kleineren und größeren Problemen so etwas wie Alltag eingezogen ist, kommen im Landkreis Ahrweiler auch die Reparaturarbeiten am öffentlichen Trinkwassernetz voran.
Schon Ende August hofft der reguläre Betreiber in Ahrbrück die Wasserversorgung wieder übernehmen zu können, das teilt die Gemeinde den Anwohnern auf ihrer Website mit. An die Adresse von NAVIS e.V. gerichtet sagt man dort noch einmal „vielen, vielen Dank für die professionelle und unkomplizierte Hilfe“.
Für die Helfer von NAVIS e.V. wird dann ein besonderer Einsatz zu Ende gehen. Im eigenen Land, in vertrauten Strukturen und ohne Bedarf an Dolmetschern. Wolfgang Wagner: “Vor Ort haben wir sehr große Dankbarkeit erfahren. Unsere Helfer werden dort Wasserengel aus Bayern genannt. Davon möchte man dann am liebsten etwas weitergeben an alle Spender, über die unsere Arbeit ja ausschließlich finanziert wird.“ NAVIS e.V. ist in Ahrbrück mit einem Warenwert von 750.000 Euro im Einsatz und ist weiterhin auf Geldspenden angewiesen.